
Yet untitled, 2000, Wanås, Schweden
Foto: Anders Norrsell
Your natural denudation inverted,
1999/2000, Carnegie International, Pittsburgh |
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Liebe Besucherinnen und Besucher,
jetzt ist die Ausstellung eröffnet. Wenn Sie dies lesen, sind Sie
wahrscheinlich bereits durch alle Stockwerke des Hauses gegangen.
Haben Sie auf das Wetter geachtet, bevor Sie in die Ausstellung
gekommen sind? Wenn ich behaupte, dass das Wetter in Bregenz Teil
der Ausstellung ist - würden Sie mir dann glauben? Wenn ich diese
Frage stelle, geht es nicht darum, ob ich das Wetter gemacht habe
oder nicht. Tatsächlich habe ich nichts in der Ausstellung gemacht
- ich habe nur entschieden, was Teil der Ausstellung sein soll und
was nicht. Durch meinen Wunsch, zu entscheiden, wo die Ausstellung
beginnt und wo sie endet, habe ich (wie immer) bemerkt, dass die
Frage, ob das Wetter Teil der Ausstellung ist oder nicht, irrelevant
ist. Denn ich habe keine Wahl - ob ich es möchte oder nicht, wird
das Wetter immer Teil der Ausstellung sein, genauso wie die Ausstellung,
im Gegenzug, immer Teil des Wetters sein wird.
Diese Geschichte beginnt natürlich schon viel früher mit dem Ende
des Objekts in der Kunst, mit der Abwendung von der Vorstellung,
dass ein Kunstwerk autonom ist. Herausgefordert durch die Architektur
des Kunsthauses in Bregenz musste ich außer dem Wetter auch Zumthors
Gebäude als Teil der Ausstellung berücksichtigen. Der Grund dafür
ist ganz einfach die Tatsache, dass das Kunsthaus da ist und im
Gegensatz zu anderen Gebäuden besonderen Wert darauf legt, da zu
sein (oder soll ich sagen, hier zu sein?). Warum ist das so? - Ich
sollte Zumthor fragen.
Lieber Peter, in der Annahme, dass Du verstehst, dass Dein Haus
nun ein Teil meiner Ausstellung ist, möchte ich Dich nach den Menschen
fragen, die dieses Gebäude besuchen (und nun diesen Text lesen).
Was glaubst Du passiert, wenn Besucher sich in den Räumen bewegen?
Was sehen sie? Sehen sie sich selbst - aktiviert sie die Umgebung,
ihre eigene Anwesenheit wahrzunehmen? Oder vergessen sie sich selbst
(und ihre Körper) eher in einer Nichtpräsenz, verursacht durch einen
beziehungslosen Raum?
Als ich vor einem Jahr begonnen habe, über diese Ausstellung im
Kunsthaus nachzudenken, waren die oben gestellten Fragen unter den
ersten, die mir in den Sinn kamen. Und es hat eine Weile gedauert,
bis ich verstanden habe, dass beide oben erwähnten Möglichkeiten
(das Gegenwärtigkeitsgefühl der Besuchenden und das weniger glückliche
Vergessen der eigenen Person in der Nichtpräsenz) anscheinend eine
Rolle spielen - nur unter verschiedenen Bedingungen. Wenn das Gebäude
als eine Ikone (der Architektur) wahrgenommen wird - als ein statisches
repräsentatives Bild guten Geschmacks oder sogar als eine objektivierende
heilige Halle - ist die Beteiligung der Menschen an dem Gebäude
rein formal. Das Gefühl von Gegenwärtigkeit ist durch eine verengte
Erzählung des Wissens absorbiert worden (eine Verdrängung, bei der
das Wetter draußen keinen Unterschied macht). Als würde man sich
auf das Gebäude beziehen und es diskutieren, ohne die wichtigsteKomponente
dabei zu berücksichtigen: die Dauer oder besser, die Zeit. Die
Zeit der Besuchenden - Ihre Zeit.
Es dauert eine Weile, in den dritten Stock hinaufzusteigen - und
indem Sie dies tun, gelangen Sie in jeden einzelnen Ausstellungsraum
des Gebäudes. Die Räume zu erfahren, während man sich darin bewegt,
einen Nutzen aus dem Gefühl für Zeit zu ziehen, gibt Ihnen, so glaube
ich, den Vorteil der Gegenwärtigkeit, das Bewusstsein, einen Körper
zu haben. Sich zu bewegen und an der Umgebung teilzuhaben, ist möglicherweise
das, was die Räume (und Sie selbst) ausmacht.
Hierin habe ich glücklicherweise einen Schlüssel gefunden, um an
die Ausstellung heranzugehen: Die Bewegung. Diese Komponente erlaubt
Ihnen (und mir), in dem Gebäude die subjektive Transparenz zu sehen
und weniger den totalitären Monolithen. Von hier aus konnte ich
über die Ausstellung nachdenken, darüber, mit welchen Mitteln ich
Bewegung vermitteln könnte.
Die Bewegung vermitteln. Unsere Bewegungen bewusst zu machen und
in die Ausstellung einzubeziehen in einer Art, die uns wahrzunehmen
erlaubt, was wir wissen, und zu wissen, was wir wahrnehmen.
Jede Bewegung beinhaltet einen gewissen Grad an Vermittlung - oder
soll ich es Kultivierung nennen? Sich in einer Stadt oder in einer
Landschaft zu bewegen, impliziert immer auch Inszenierung und Vermittlung.
Unser städtisches Umfeld wurde geplant, um uns zu vermitteln. Landschafts-
und Stadträume haben, indem sie einen Vorteil aus unserem Gedächtnis
zur Organisation unserer Erwartungen ziehen, eine lange Tradition
der Nutzung von Bewegungen als Erzeuger von Raum. Die Stadt, die
von Sicherheitsansprüchen geprägt ist, die Überraschungen ausschließt
und überschaubare Umfelder schafft (Verkehrskontrollen und Einkaufszentren),
oder die Stadt als gesellschaftliches Potential, wo uns weniger
vorhersehbare (Mehrzweck) Umfelder die Gastfreundschaft der Gegenwärtigkeit
genießen lassen.
Bei der vier Etagen umfassenden Ausstellung im Kunsthaus wollte
ich jemanden einbeziehen, der Erfahrung mit der Kultivierung von
Prozessen und Bewegungen hat. In dem Bewusstsein, dass der Prozess,
diese Ausstellung zu entwickeln, ein ebenso unvermeidlicher Teil
der Ausstellung ist - wie das Wetter und Zumthors Architektur -
musste ich nach jemandem suchen, der Erfahrungen mit der Typologie
des Arbeitens im Außenraum hat. So kam ich auf den Landschaftsarchitekten
Günther Vogt und sein Büro, die durch ihre interdisziplinären Gemeinschaftsprojekte
Erfahrung damit haben, die Natur (der Stadt) zu nutzen, um Gebiete
zu gestalten, in denen Bewegung von wesentlicher Bedeutung ist.
Die Räume sollten in eine gartenähnliche Struktur übersetzt werden,
innerhalb derer jedes Stockwerk mit den dazwischenliegenden Treppen
eine unterschiedliche Plattform darstellt, auf der man sich bewegen
kann. Mit Pilzen bewachsene Baumstämme, ein hölzerner Parcours über
eine Wasserfläche mit Teichlinsen, eine schiefe Ebene belasteter
Erde und schließlich eine Hängebrücke in einem Raum voll Rauch.
The Mediated Motion.
Olafur Eliasson
An alle,
wenn ich diesen Text schreibe, bleibt weniger als ein Monat Zeit
bis zur Eröffnung des Projektes in Bregenz. Fast alle Teile der
Ausstellung sind nun beisammen - aber wie immer gibt es noch einige
offene Fragen, die darauf warten, beantwortet zu werden.
Können Sie mir sagen, ob die Ausstellung im obersten Geschoss endet
oder ob das Hinuntergehen zum Erdgeschoss in Richtung Ausgang, wenn
man alles noch einmal "rückwärts" betrachtet, die Ausstellung
verlängert, und sich das Ende letztendlich am Ausgang beim Verlassen
des Hauses befindet? Vielleicht hat das Projekt gerade dann begonnen,
wenn Sie dieses Informationsheft erhalten haben, welches mit Sicherheit
Erwartungen in Ihnen auslösen wird, bevor Sie die Ausstellung überhaupt
betreten werden. Ihre Erwartungen werden einen Einfluss darauf haben,
wie Sie dem Projekt im Kunsthaus Bregenz begegnen und wie Sie es
erleben werden. - Und das außergewöhnlich herausfordernde Gebäude
von Zumthor: Wie viele Erwartungen und vorgeprägte Blicke hat allein
das Gebäude schon hervorgerufen?
Was ist tatsächlich meine Grundlage, auf der dieses Projekt aufgebaut
werden kann? Ist es das autonome Gebäude aus Beton oder sind es
sämtliche vorgefassten Sichtweisen und dynamischen Prozesse, die
Sie prägen, bevor und während Sie das Haus betreten? Ich glaube,
dass das Kunsthaus möglicherweise überhaupt nicht da ist, bis Sie
diesen Brief gelesen haben, und dass für Sie auch die Ausstellung
nicht existiert, bis zu dem Zeitpunkt, da Sie die Einladung erhalten
haben, weil sich Ihr Name auf der Einladungsliste befindet. Sie
sind es und Ihre Erwartungen - Ihr Weg zur und durch die Ausstellung
- die dieses Projekt entstehen lassen. Mit anderen Worten: diese
Ausstellung ist abhängig von Ihrer Bewegung, Ihrem Engagement, sich
einbeziehen zu lassen, sich auf Erfahrungen einzulassen.
Während meiner Suche nach Möglichkeiten, dieses Gebäude zu entschlüsseln
- die sicherlich eng mit Klassifizierungen des Sehens und Erfahrens
verknüpft ist - entdeckte ich den großzügig raumgreifenden Aspekt
der spiralförmigen Bewegung, die Sie von einem Stockwerk zum nächsten
führt. Mir wurde klar, dass eine Steigerung des Prinzips der Bewegung
der richtige Weg sein könnte, um den größten Vorteil aus Ihrem vorgeprägten
Blick zu ziehen und Sie als Hauptfigur in die Ausstellung zu integrieren.
Da Ihre Bewegung und Orientierung ein zeitlicher Prozess sind,
suchte ich eine Gelegenheit und ein Mittel, diesen Prozess in ein
Objekt zu verwandeln. Auf einem bestimmten Gebiet wurde der Prozess
als Objekt bereits kultiviert - in der Landschaftsarchitektur. Deshalb
wandte ich mich an Günther Vogt, dessen Sinn für den Kultivierungsprozess
eine weitsichtige Quelle für die Entwicklung dieses Projektes war:
The mediated motion (Die vermittelte Bewegung).
Olafur Eliasson, Februar 2001
(Tone Fink, KUB E-Mail,16. Oktober 2003)
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