KUB 2024.03
Tarek Atoui
12 | 10 | 2024 – 12 | 01 | 2025
Musik und Klang gehören zum künstlerischen Programm des Kunsthaus Bregenz. Susan Philipsz ließ 2015 ihre Bearbeitungen von Hanns Eislers Filmmusik Night and Fog ertönen, auch Anri Sala fand 2021 im KUB den perfekten Resonanzkörper für seine Kunst. Für Peter Zumthors architektonische Ideen liefert Musik wesentliche Inspiration. Bei der Expo 2000 in Hannover gestaltete der Pritzker-Preisträger, der ursprünglich Kontrabassist werden wollte, den Schweizer Pavillon als begeh- und erlebbaren Klangkörper.
Klang, akustisches Erleben und musikalische Performance spielen auch in Tarek Atouis Werk eine zentrale Rolle. Atoui ist Künstler und Komponist, der mit einer Vielfalt an musikalischen Mitteln arbeitet. Er experimentiert mit elektroakustischen Quellen und Synthesizern, betreibt Studien zu Soundscapes und baut präzise entwickelte Musikinstrumente. Inspiration schöpft er auch aus fremden Kulturen, aus dem Austausch mit Expert*innen, Handwerker*innen und Musiker*innen aus der ganzen Welt. Seine Kunst ist ein Beitrag zu einer neuen, in den Bereich der Musik und der akustischen Wahrnehmung verlagerten Form des Arts and Crafts Movement. In der KUB Ausstellung sind die Instrumente im Raum und auf dem Boden als Klangquellen ausgebreitet. Die Besucher*innen werden beim Durchwandeln dieser Klanglandschaft dazu angeregt, nicht nur ihr Hören, sondern auch ihr Raumempfinden zu sensibilisieren. Das Kunsthaus Bregenz mit seiner Weiträumigkeit und den akustischen Echoeffekten ist dafür besonders geeignet.
Tarek Atoui, der Gemeinsamkeit und Verständigung in der Kunst hervorhebt, legt die herkömmlichen Konventionen der Musikdarbietung ab. Zugleich setzt er auf die inspirierende und sensibilisierende Qualität von Klangerlebnissen. Es geht nicht nur um das Auslösen ästhetischer Wahrnehmung, sondern auch darum, gesellschaftliche, politische, geografische und historische Aspekte zu integrieren. Für das eigens konzipierte pädagogische Begleitprogramm mit Workshops und kreativen Projekten arbeitet Atoui eng mit dem Vermittlungsteam des Kunsthaus Bregenz zusammen. Vom 24. bis zum 26. Oktober findet eine Performance-Reihe mit Tarek Atoui und internationalen Musiker*innen in den Ausstellungsräumen statt.
Im ersten Obergeschoss stehen die taktile Qualität des Klangs, die Vibration und Bewegung der „wind instruments“ im Zentrum. Die Wind Houses verbinden Hören, Berühren und Sehen. Es sind Hör- und Aufführungsräume und gleichzeitig riesige Musikinstrumente. Speziell für Bregenz produzierte Atoui Windhouse #2, eine neue Version seines „Windsammelgeräts“, das durch einen starken Luftstrom aktiviert wird. Wie bei einer Flöte wird Luft durch ein abgeschrägtes Brett geteilt und erzeugt so tiefe Töne, die im ganzen Körper und im umgebenden Raum widerhallen. Organ Within ist eine hybride skulpturale Installation, die Forschungen über historische Kirchenorgeln mit den „Hörerfahrungen“ von Gehörlosen verbindet. Sie besteht aus einem Netzwerk von Schläuchen, die einen Computer mit einem Ventilator verbinden, und verschiedenen Orgelmodulen, die miteinander interagieren, sodass sich ihre Klänge ständig aneinander anpassen.
Die Arbeit im zweiten Obergeschoss trägt den Titel Waters’ Witness. Für diese fortlaufende Arbeit sammelte Tarek Atoui die Klänge verschiedener Hafenstädte wie Athen, Abu Dhabi, Singapur, Beirut, Porto, Istanbul und Sydney. Mit Waters’ Witness komponiert Atoui eine Klanglandschaft, die symbolisch und geografisch unterschiedliche Realitäten verbindet. Er schafft damit Raum für neue Begegnungen, neuen Austausch und vor allem für neue immaterielle Verbindungen – so wie ein Hafen, der verschiedensten äußeren Einflüssen ausgesetzt ist und das Wachstum und den Wandel einer Stadt widerspiegelt.
Das oberste Stockwerk ist dem Regen gewidmet. Tarek Atoui begann das Projekt The Rain auf einer Forschungsreise nach Südkorea. Er setzte sich mit traditionellen koreanischen Musikinstrumenten auseinander, arbeitete eng mit lokalen Kunsthandwerker*innen und Gelehrten der traditionellen Kultur zusammen. Er erweiterte sein Instrumentarium um keramische Resonanzkörper, Porzellan und Hanji, ein traditionelles koreanisches Papier. Die Arbeit wurde erstmals auf der Gwangju Biennale im Jahr 2023 präsentiert.
Nach Ausstellungen u. a. in Seoul, New York, Singapur und Sydney wird Tarek Atouis Arbeit im Kunsthaus Bregenz zum ersten Mal umfassend in Österreich präsentiert.
Tarek Atoui (*1980, Beirut) ist Musiker und Klangkünstler, er lebt und arbeitet in Paris. Atoui studierte zeitgenössische und elektronische Musik am Conservatoire à Rayonnement Régional in Reims und nahm an einem Artist-in-Residence-Programm am New Museum in New York teil. 2012 trat er auf der documenta 13 mit einer Arbeit auf, die von Erkki Kurenniemis DIMI-Synthesizern inspiriert wurde. Als Künstler stellte Atoui weltweit aus, unter den Ausstellungsorten waren das Art Sonje Center, Seoul, und S.M.A.K, Gent, beide 2024, das Museum of Contemporary Art Australia, Sydney, 2023, das Mudam Luxemburg, 2022, die Fundação de Serralves, Porto, 2022 und 2018, The Contemporary Austin, 2022, die FLAG Art Foundation, New York, 2022, das Fridericianum, Kassel, 2020, die Sharjah Art Foundation, 2020, oder das NTU Centre for Contemporary Art Singapore, 2018. Seine Werke sind in zahlreichen Sammlungen vertreten, unter anderem in der Sammlung der Tate Modern, London, des Solomon R. Guggenheim Museum, New York, des Nouveau Musée de Monaco, in der Pinault Collection, der Kadist Collection, der französischen Nationalsammlung und der Sammlung der Sharjah Art Foundation.