KUB 11.03
Ai Weiwei
16 | 07 – 16 | 10 | 2011
Als Ai Weiwei vor eineinhalb Jahren zu einer großen Einzelausstellung im Kunsthaus Bregenz eingeladen wurde, ahnte keiner die Situation voraus, in der wir uns heute befinden. Anfang April 2011 wurde der Künstler am Flughafen von Peking festgenommen und nach zweieinhalb Monaten der Ungewissheit gegen Kaution aus der Haft entlassen. Ai Weiwei ist damit zwar nicht mehr inhaftiert, muss sich aber an strenge Auflagen halten. Er darf Peking in den kommenden 12 Monaten nicht ohne Erlaubnis verlassen, nicht über seine Haft sprechen und der Presse keine Interviews geben. Ihm werden von der chinesischen Regierung „Wirtschaftsverbrechen“ angelastet und die Steuerbehörden fordern nach Aussage eines engen Freundes des Künstlers Geldstrafen in Millionenhöhe.
Als Reaktion auf das Verschwinden von Ai Weiwei im April hatte es viele Proteste von einflussreichen Politikern wie dem amerikanischen Präsidenten oder den Außenministern von Österreich und Deutschland gegeben. Führende Intellektuelle, Nobelpreisträger und sehr viele Kulturschaffende haben sich für den Künstler stark gemacht. Hinzu kamen Aktionen und Unterschriftenaufrufe einer Vielzahl von Kunstinstitutionen. Mehr als 100.000 Menschen unterschrieben eine Petition für Ai Weiweis Freilassung, zu deren Unterzeichnung auch das Kunsthaus Bregenz auf seiner Website und in einer Aktion auf der Biennale in Venedig im Juni aufgerufen hatte. Nach wie vor engagiert sich das KUB, aufgrund des Ausreise- und Redeverbots, für seine Freiheit.
Wir sind in den letzten Wochen des Öfteren gefragt worden, ob wir auch unter den gegebenen Umständen die Ausstellung realisieren werden. Uns erscheint die Präsentation des Werks von Ai Weiwei heute nötiger denn je. Nicht nur weil die Schau im Kunsthaus Bregenz mit ihrer Konzentration auf seine Architekturkooperationen einen bisher eher unterrepräsentierten Aspekt der breit gefächerten Arbeiten beleuchtet, sondern vor allem, weil wir der Überzeugung sind, dass es zum jetzigen Zeitpunkt unabdingbar ist, das Interesse und die Diskussion um das Schaffen dieses bedeutenden Künstlers und seine Unrechtbehandlung durch den chinesischen Staat im Blick der Öffentlichkeit zu halten. Wenngleich Ai Weiwei mit Ausstellungen auf der ganzen Welt in den letzten Jahren für Furore gesorgt hat, auf der documenta 12 (2007) zu den am meisten beachteten Teilnehmern zählte und vor nicht allzu langer Zeit mit großen Einzelausstellungen und Projekten im Haus der Kunst in München (2009/10) sowie in der Turbinenhalle der Tate Modern in London (2010/11) überzeugte, verhindert sein aktuelles Redeverbot jede öffentliche Stellungnahme von seiner Seite.
Ungeachtet der Tatsache, dass wir die Ausstellung im Kunsthaus Bregenz nicht als Reaktion auf die aktuellen Ereignisse geplant haben, kommt ihr eine besondere Bedeutung zu, weil die Auswahl der Werke und ihre räumliche Abfolge von Ai Weiwei selbst in enger Zusammenarbeit mit uns bis ins Detail konzipiert wurde. Dabei waren der Künstler und wir uns gleich zu Beginn einig, dass nicht nur die formalen Kriterien und die kulturelle Verortung seiner Architektur thematisiert werden, sondern auch auf deren soziale und politische Bedeutung eingegangen werden muss. Ai Weiweis Auseinandersetzung mit der spezifischen Situation in China, den strukturellen und urbanistischen Problemen der Gesellschaft dort, hat immer wieder dazu geführt, dass er von der chinesischen Regierung mit Repressionen belegt wurde. Vor zwei Jahren wurde dem Künstler beispielsweise von der Polizei eine schwere Kopfverletzung zugefügt, als er sich für die Aufklärung der Einstürze von Schulgebäuden während des Erdbebens in Sichuan einsetzte, durch die tausende Kinder ums Leben gekommen waren. Die Baumängel, die das Unglück verursacht hatten, waren auf Korruption zurückzuführen. Auch der im letzten Jahr veranlasste Abriss seines kurz zuvor fertig gestellten Atelierkomplexes in Shanghai muss als ein weiteres Druckmittel gedeutet werden, mit dem der Staat Ai Weiwei einzuschüchtern versuchte. Der Künstler ließ sich jedoch nicht von seiner kritischen Haltung abbringen, filmte die Zerstörung seines Ateliers und schuf so eine Videoarbeit, die in der Bregenzer Ausstellung zu sehen sein wird. Außerdem zeigen wir seine bekannten Videos, in denen er in statischen Aufnahmen die Ringautobahnen von Peking filmt und dadurch einen beredten Kommentar von der urbanen Situation der Stadt gibt.
Insgesamt konzentriert sich die Ausstellung im KUB auf die exemplarischen Architekturkooperationen Ai Weiweis, die mit anderen Architekturbüros entwickelt wurden. Dramaturgisch ist die Präsentation so aufgebaut, dass sie mit Architekturmodellen, Plänen, Fotografien und Videodokumentationen zu konkreten Bauvorhaben im ersten Stock beginnt, in den folgenden zwei Stockwerken das Thema der Baukunst zunehmend abstrakter wird. Neben einem Video zu seinem Atelierkomplex in Shanghai werden im ersten Obergeschoss auch Bauten vorgestellt, die zusammen mit dem jungen Schweizer Büro HHF architekten geschaffen wurden. Zu den Höhepunkten der Architekturkooperationen zählt sicher Ai Weiweis Zusammenarbeit mit Herzog & de Meuron, die er in der Planung des berühmten Nationalstadions in Peking (2008) beriet. Außerdem zeigen wir das ebenfalls von dem Schweizer Duo in Gesprächen mit Ai Weiwei geplante Kooperationsprojekt Jindong New District, das zwar weniger bekannt, aber in seiner spezifischen Ausformulierung ebenso bemerkenswert ist. Den Auftrag für den neu entstehenden Stadtteil Jindong der Millionenstadt Jinhua in der südchinesischen Provinz Zhejiang erhielten Herzog & de Meuron durch die Vermittlung Ai Weiweis, der ursprünglich hierfür engagiert war. Dieser zog aber eine Zusammenarbeit mit dem Schweizer Büro für Jinhua – den Geburtsort seines Vaters und in China sehr verehrten Dichters Ai Qing – vor.
Im zweiten Obergeschoss des Kunsthaus Bregenz ist eine neue, anlässlich der Ausstellung entstandene spektakuläre Arbeit von Ai Weiwei zu sehen, die die gesamte Fläche des Stockwerks (500 m²) einnimmt und die allein aufgrund ihrer ästhetischen Sonderstellung zwischen Architekturmodell und freier künstlerischer Arbeit beeindruckt. Ausgangspunkt dieses Werks ist die Architekturkooperation ORDOS 100, für die der Künstler vor drei Jahren 100 junge Architekturbüros aus der ganzen Welt eingeladen hatte, entsprechend einem von ihm konzipierten Masterplan Einfamilienhäuser in der mongolischen Steppe zu entwerfen. Im obersten Geschoss wird die Arbeit Moon Chest (2008) in einer eigens hierfür entwickelten Anordnung ausgestellt. Hierbei handelt es sich um eine freie, nicht konkret auf eine bestimmte Architektur hin realisierte Arbeit. Auch wenn diese eine klassische autonome Skulptur in der Tradition der Minimal Art ist, erinnert sie gleichzeitig mit ihren spezifischen rechteckigen und lang gezogenen Formen an Hochhäuser.
Sollte Ai Weiwei bis zur Eröffnung im Juli 2011 weiterhin Rede- und Reiseverbot auferlegt sein – wovon leider auszugehen sein wird – nutzt das Kunsthaus Bregenz die große Popularität der Ausstellung, um sich für den Künstler einzusetzen. Hierzu sind mehrere Solidaritätsprojekte geplant.
Biografie
Ai Weiwei (*geb. 1957) ist chinesischer Konzeptkünstler, Bildhauer, Architekt und Kurator. Er hatte zahlreiche Einzelausstellungen, unter anderem in der Turbine Hall, Tate Modern, London (2010), im Museum of Contemporary Craft, Portland (2010), in der Stiftung DKM, Duisburg (2010), im Mies-van der-Rohe-Pavillon, Barcelona (2009), im Haus der Kunst, München (2009), im Mori Art Museum, Tokio (2009). Er nahm an der 48. Biennale von Venedig, der Guangzhou Triennial 2002 in China, der Biennale of Sydney 2006 und an der documenta 12 in Kassel teil. Für die documenta gestaltete er das Projekt Fairytale und die Außenarbeit Template, die nach einem starken Unwetter kollabierte.
Zu seinen wichtigsten Architekturprojekten gehören das Nationalstadion Pekings für die Olympischen Sommerspiele 2008 und Ordos 100, beide in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron.